1904-1913 Kinderjahre in China
Colette Richarme wird am 24. Januar 1904 in Kanton (China) geboren, wo ihr Vater Georges als Experte der Seidenindustrie für die britische Firma Jardin & Matheson arbeitet. Eine goldene Kindheit, in der Colette, das einzige Kind, durch ihre Mutter, ausgebildet an der Kunstakademie in Genua, sie in die Kunst des Zeichnens einführt. Durch den plötzlichen Tod ihres Vaters am 31. August 1913 sind sie und ihre Mutter gezwungen, nach Frankreich zurückzukehren.
1914 – 1918, Zwischenzeit in Lyon
Während des gesamten ersten Weltkrieges sind Colette und ihre Mutter in Lyon bei der Familie des Vaters untergebracht. Sie besucht eine Gewerbeschule für Stoffzeichnungen und Abendkurse an der Ecole des Beaux-Arts in Lyon.
1919-1925, Jugend im Savoyen
Umzug nach Albertville, der Heimat der Familie mütterlicherseits. Ihre Mutter arbeitet, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Währenddessen übt sich Colette autodidaktisch in Zeichnung und Aquarellen, außerdem begeistert sie sich für Literatur. Während zweier kurzer Aufenthalte 1924 und 1925 bei Freunden der Familie entdeckt sie Algerien.
1926-1935, Hochzeit und Geburt der Kinder
Am 2. Juli 1926 heiratet sie Jean Boisseau, Unterleutnant der siebten Bataillon der Gebirgsjäger. Ihre Mutter Jane stirbt kurz nach Weihnachten 1926. 1927 kommt ihre Tochter Janik zur Welt, anschließend 1929 Rose-Marie, welche achtzehn Monate später stirbt, und schließlich Michèle im Jahre 1930. Colette besucht zu dieser Zeit ein Atelier in Chambéry.
1932-1935, Annecy
Im Zusammenhang mit der Ernennung Jeans zum Hauptmann der 27. Bataillon der Gebirgsjäger siedelt sich die Familie zwischen 1932 und 1935 in Annecy an. Dort haben sie ein reichhaltiges kulturelles Leben. Der See und die Altstadt sind eine fruchtbare Inspiration für einige sehr schöne Gouaches (diese werden gegenwärtig in den Archiven der Haute-Savoie aufbewahrt).
1936-1937, Pariser Jahre
Dies sind die Ausbildungsjahre: Jean besucht die Ècole de Guerre, eine Ausbildungsstätte für höhere Offiziere, und Colette verschiedene Ateliers: die von Jean Darna, Charles Blanc, Met de Penninghen und Yves Brayer an der Grande Chaumière, wo sie in die Ölmalerei eingeführt wird. In Letzterem schließt sie Freundschaft mit Louise Bourgeois. Diese ist zu dieser Zeit Massière des Ateliers [sie kümmerte sich um gemeinschaftliche finanzielle Angelegenheiten und besorgte Arbeitsmaterial für ihre Mitstudierenden].
1937-1938, Umzug nach Montpellier
Ihr Mann wird nach Montpellier berufen, wo sie das Schäferhaus eines ehemaligen Hofes beziehen : La Vignette. Ferien im Savoyen auf dem Col de Forclaz über dem See von Annecy, wo ihr die Berge eine Quelle der Inspiration bieten.
1939-1940, Vorabend des Krieges
Auf Anraten von Louise Bourgeois tätigt sie eine kurze Reise zum Musée du Prado in Genf. Von dort bringt sie zahlreiche Notizen über die ausgestellten Meisterwerke mit (diese Notizen werden 2020 in Madrid während eines Kongresses präsentiert werden). Im selben Jahr wird ihr Mann an die Front berufen und ihre Freundin Louise heiratet Robert Goldwater, mit dem sie in die USA zieht. Jean wird 1940 gefangen genommen und nach Deutschland überführt. Colette zieht sich in die Malerei zurück, stellt ein Gemälde im Salon des artistes français du Grand Palais aus und nimmt an ihrer ersten regionalen, gemeinschaftlichen Ausstellung im Salon de la Société des Arts du Languedoc (Narbonne) teil.
1941 – 1944, Kriegszeit
Das materielle Leben ist schwierig, das intellektuelle und künstlerische Leben ist hingegen lebhaft dank der Besuche zahlreicher geflüchteter Künstler in die “Zone Libre“. Dies sind unter anderem Mayou, Louis-Charles Aymar, Boscian, Antcher, Roudneff, Guenoun…Richarme zeichnet und malt Portraits und Akte. 1940 stellt sie ihr erstes Gemälde im Salon des artistes Français aus. 1941 findet ihre erste Einzelausstellung in Montpellier statt, gefolgt von einer Zweiten im April 1943. Im Juni nimmt Richarme an der Gemeinschaftsausstellung “L’ art vivant “ in Languedoc-Roussillon im Musée Fabre teil. Sie begeistert sich für die Dichtung Mallarmés und setzt neun seiner Gedichte in bildnerische Äquivalente um. Im Mai 1944 beteiligt sie sich erneut an einer Ausstellung im Musée Fabre und im Dezember an der ersten Ausstellung der “Libération“. Am Ende dieser Periode notiert sie in ihrem Tagebuch : “1944 sieht eine Geburt : die Meine in der Kunst.“ Von jetzt an signiert sie ihre Werke mit “Richarme“, begleitet von dem Monogramm “CRB“.
1945-1949, Befreiung
Im Juni 1945 kehrt ihr Ehemann aus fünf Jahren Gefangenschaft zurück. Richarme präsentiert eine Einzelausstellung in der Galerie von Doktor Bonnet in der Rue des Étuves in Montpellier. 1946 nimmt sie an der Ausstellung Montpellier-Montparnasse teil, welche von dem Komitee Rethel Montpellier organisiert ist. Die Nachkriegszeit führt zu einem großen kreativen Aufbrausen, das seinen Durst nach Befreiung und Anerkennung widerspiegelt. Richarme wird bekannt durch ihre Ölmalereien (Akte und Landschaften) und beginnt, Gedichte und Romane zu schreiben (Notre Livre). Gleichzeitig besucht sie Gravur-Kurse bei Robert Cami. Den Abschluss dieser Phase bildet eine Einzelausstellung in der Galerie Art et Décoration in der Rue Foch in Montpellier.
1950 – 1959, Jahre des Aufbaus
10 Jahre intensiver Arbeit, welche geprägt sind von regelmäßigen Ausstellungen in der Provence und ab 1955 auch in Paris (Einzelsalons und -ausstellungen in Galerien). Im Jahre 1953 wird sie Mitglied des Salon Regain de Lyon. Dort wird sie ihre Gemälde bis 1971 jährlich präsentieren. Das Musée national d’art moderne de Paris erwirbt 1957 das Gemälde Inspiration sétoise. 1958 beeinflusst ein Aufenthalt in der Bretagne ihre Zeichnungen und Malereien radikal. Im Frühling 1959 tritt sie in den Salon des Indépendants ein.
1960 – 1962, Abschiede
La Vignette, welches sie zu erwerben hoffte, verschwindet, da es vom Staat gekauft wird, um den Campus der Universität Paul Valéry zu bauen. Colette und Jean suchen nach einem neuen Wohnsitz. Die Familienstruktur verändert sich: Nach ihrem Tanzstudium in Paris und einem Aufenthalt in den USA kehrt Michèle nach Montpellier zurück. Währenddessen zieht Janik nach Antibes, um dort als Kinderärztin zu arbeiten. Weitere Ausstellungen finden in Paris (Galerie 55, Galerie Duncan) und in der Provence (Montpellier, Cannes, Céret, Valréas…)statt.
1963 – 1968, Frischer Wind
Richarme bezieht das Grundstück Adrien, welches sie in Psalmodie umbenennt. Endlich verfügt sie über ein Atelier und einen Garten. Im April 1964 wird sie Mitglied im Salon des Indépendants und wird es bis zum Ende ihres Lebens bleiben. Sowohl bezüglich der Malerei als auch der Zeichnung ist dies eine üppige Zeit. Diese bekommt ihren Rhythmus durch Reisen nach Paris um ihre Werke auszustellen (Galerie Arlette Chabaud) oder zu ihrer Tochter nach Antibes, um zu malen und Kontakte zu knüpfen. Sie trifft Freunde wie Françoise Lantz, welche für sie eine herzliche Pariser Helferin sein wird. Jede Reise nach Paris gibt ihr die Gelegenheit, die aktuellen Ausstellungen zu besuchen und sich außerdem nach einer Galerie umzusehen, die sie in der Hauptstadt repräsentiert. Diese mit häufigen Misserfolgen gespickte Suche ist vielleicht der Ursprung der desillusionierten Worte, welche sie Ende 1968 in ihr Tagebuch schrieb : « Ich weiß nicht, warum…seit dieser Revolution im Mai [1968] habe ich ganz plötzlich das Gewicht des Lebens, des Alters gefühlt ; ich habe den Eindruck, dass eine Barriere mich von allem trennt…und das Alter, das ich nicht fühlte oder fühlen wollte, stellt sich plötzlich vor mir auf wie eine Mauer. »
1969 – 1974, die Nachwirkungen des „Mai 68“
Abwechselnde Phasen von Malerei und dann auch Zeichnung mit neuen Recherchen ; l’oiseau, Léda. « All die aktuellen Recherchen zielen auf die Einigung, die Lebhaftigkeit und Offenheit der Farbtöne ab sowie auf ihre Transparenz. Darüber hinaus der Versuch, mich von dem Strich zu befreien, der zu sehr begrenzt und nur den zu behalten, den ich wähle, um auf den Ausdruck zu bestehen. » Eine Ausstellung folgt der nächsten : in Paris findet die siebte Einzelausstellung statt, desweiteren in der Galerie Chabaud, wie jedes Jahr im Salon des Indépandants, aber auch in Montpellier, Antibes, Perpignan, Vichy usw.. In Paris lernt sie die Malerinnen Lise Lamour und Jaqueline Pagès-Bérard kennen, mit welchen sie Freundschaft schließt. Dies ist auch mit Colette Gallet der Fall, welche sie 1972 bei den Indépandants kennenlernt. Selbige wird ihre Agentin. Von 1974 an führt sie vier Jahre lang regelmäßige Kuraufenthalte in Gréoux durch. Diese erlauben ihr, fern von Atelier und Verpflichtungen, mehr zu lesen, aber auch über die Mythen zu schreiben, welche rund um die Thermen überliefert sind.
1975 – 1977, Endlich eine Galerie
Richarme wird eine der Malerinnen der Galerie Pierre Ducommun. Die Ausstellung von 1975 wird eine der Glanzvollsten ihrer Karriere und markiert eine fruchtbare Schaffensperiode. Leider endet dieses Abenteuer 1977 mit einer brutalen Schließung. Als Hommage an Odilon Redon, Maler im Salon des Indépandants, setzt sie sich künstlerisch mit diesem auseinander. Die Ausstellung Soulages 1975 im Musée Fabre in Montpellier stellt für sie den Ausgangspunkt einer Recherche über ihre Figures und Idéogrammes dar : « [Soulages] hat mir den Schubs für den Aufbruch gegeben. » Diese Jahre sind überschattet von der Verschlechterung des Gesundheitszustandes ihres Mannes. Dieser stirbt im August 1977.
1978 – 1980, Blütezeit
Parallel zu ihren Zeichnungen entwickelt sich ihre Malerei : « Fesselnde Arbeit, […] sie ist vielleicht sehr beladen, jedoch deutlich und sehr konstruiert, eine verschleierte Gegenständlichkeit » (Kalender, 10. April 1978). Jean Chabanon schreibt in seiner Zeitschrift Le Peintre eine exzellente Kritik ihres Gemäldes Chrysanthèmes, welches bei den Indépandants ausgestellt ist. Im November findet ihre achte Einzelausstellung in Paris statt, in der Galerie La Roue, rue Grégoire de Tours. Organisiert wird diese durch den Maler Mireille Montangerand. Wie jedes Mal durchstreift sie Paris, seine Galerien, kehrt zurück in das Museum Antoine Bourdelle (bleibt « geblendet » vor seiner Léda stehen) und sieht sich Le Nain im Grand Palais an. 1979 wird ihr Gemälde Les Tours im großen Saal des Salon des Indépandants ausgestellt. 1980 wird Richarme offiziell in die Galerie Drouant, Faubourg Saint-Honoré, aufgenommen. In voller Könnerschaft ihrer Kunst kann sie sich nun freudvoll dem Thema Berge widmen, außerdem nimmt sie mit gleichem Esprit eine große Serie von Meeresmotiven in Angriff.
1981 – 1987, Jahre der Fülle
Anlässlich seines achzigsten Geburtstages bietet Robert Briatte ihr als Hommage die Publikation eines Prospektes mit Texten von Max Roquette, Jean-Louis Gourg und von ihm selbst an. Der Titel lautet schlicht RICHARME. Dies bietet die Gelegenheit für einige Interviews von Journalisten wie Elise Coscia (Agora) oder von den Schriftstellern. Trotz ihrer anwachsenden Erschöpfung realisiert Richarme weiterhin zahlreiche Werke, Arten von Meditationen, die sich auf die Sprache der Linien und den Dialog der Farben konzentrieren. Sie verlässt seltener das Haus, empfängt aber ihre Freunde wie Bernard Derrieu, welcher die Inventur in die Wege leitet, Régine Monod, den Maler Pierre Cayol…Im Salon des Indépandants bleibt sie weiterhin präsent. 1986 zählt sie zu den auserwählten Maler*innen von Bob Ter Schiphorsts Fotoausstellung mit dem Thema La perplexité de l’artiste devant la toile blanche („Die Ratlosigkeit des Künstlers vor der weißen Leinwand“). Im Jahre 1987 beginnt ihre Zusammenarbeit mit der Galerie Réno in Saint Gély-du-Fesc, wo sie regelmäßig präsentiert wird, einzeln oder zusammen mit anderen Künstlern der Galerie.
1988 – 1991 Bildnerisches Testament
« Ein bisschen Schwermut, zu fühlen, wie man altert » (Kalender, 1. Januar 1988), jedoch schreibt sie in einem Brief an ihre Tochter am 23. Januar 1989, während sie an ihrer Serie von Stillleben arbeitet : « Ich möchte meine Freude mit dir teilen…Ich habe gespürt, was eine gut komponierte, vibrierende Leinwand ist, ausgestattet mit einem magischen, berauschenden Geschmack! » Richarme ist nun zu erschöpft für lange Reisen und setzt in ihrem « Elfenbeinturm » ihre Arbeit zu Meeresmotiven fort. Diese stellt sie in der Region aus, in Montpellier, Sète, Béziers…Ihre letzte öffentliche Veranstaltung ist ihre Beteiligung an der Ausstellung Six peintres de la Méditerranée (Sechs Maler*innen des Mittelmeeres) im September 1990 im Museum Paul Valéry in Sète. Am Ende desselben Jahres wird sie bettlägerig, bevor sie ihre Serie von Stillleben fertigstellen kann.Diese hatte sie vor, unter dem Titel Harmonies auszustellen. Richarme stirbt am 27. Februar 1991 in Psalmodie. Sie ruht auf dem alten Friedhof von Albertville.
Lebendiges Werk
1992
Hommage im Salon des Indépendants,
Ausstellung Harmonies in der Galerie Réno
1995
Ausstellung Sète moitié de siècle („Sète Mitte des Jahrhunderts“), Galerie Réno
1997
Ausstellung Blancs, Salle Renaissance (Montpellier)
2003
Benennung des théâtre de l’Université Paul Valéry : Théâtre de La Vignette
2003
Erste posthume Restrospektive, durchgeführt von Estelle Goutorbe im Hôtel de Région à Montpellier
2005
Gründung der Association Richarme
2007
Große Retrospektive in Albertville (Savoie), Umsetzung durch Jean-Luc Bourges : Laissez vous conter Colette Richarme („Lassen Sie sich etwas von Colette Richarme erzählen“)
2015
Hommage im Musée Fabre : Übergabe der Schenkung
2019
Einweihung der Richarme-Passage im Herzen von Montpellier
2020
Hommage der Stadt Montpellier : Zélie Durell organisiert die Ausstellung Colette Richarme ou la conversation des couleurs („Colette Richarme oder die Unterhaltung der Farben“) im Espace Bagouet
Von 2005 bis 2021
17 Einzel- und 5 Gruppenausstellungen,
12 Publikationen,
7 Schenkungen in Form von Werken oder Dokumenten an Museen und Institute,
Erstellung einer Website,
Realisierung eines Dokumentarfilms durch Guy Lochard und Oliver Guérin : De Colette à Richarme, passages. („Von Colette zu Richarme, Übergänge.“)